Der letzte Tag mit dir von Ludger / ehem. BeV

 

Auf dem Weg ins AVK fragt mich eine Frau an der Bushaltestelle nach einer Zigarette und ich biete ihr meine an. Sie nimmt diese und sagt: „Du wirst ja schon kein AIDS haben!“ Ich lache und sage „Nein“!
Auf dem Weg schaue ich auf die Uhr und denke noch:
Jetzt ist es bald 11 Uhr. Wenn ich ankomme und du bist schon tot, habe ich noch bis 12 Uhr Zeit deine Eltern vor der Abfahrt am Bahnhof zu erreichen. Was man sich halt so für´n Blödsinn überlegt.

Im Grunde hatten wir gerade erst geplant dich am Samstag nach Hause zu holen, damit du die letzen Wochen zusammen mit Freunden und von H.I.V.e.V. „Finalpflege“ bekommst. Ein Wort, daß dich die Nacht nicht hat schlafen lassen! -Noch Bilder sortieren und alles regeln. Die Beerdigung und ähnliches haben wir ja gestern schon besprochen. Seit Jahren kämpften wir für ein Pflege-Hospiz. Auch um eventuell selbst dort ein letztes Heim zu finden. Nun könnte dein erster Krankenhausaufenthalt auch der Letzte sein. Am Sonntag hast du mich sogar soweit gebracht, daß ich mal schauen wollte, wie BeV sich verabschieden möchte: nach 3 Jahren habe ich mich deshalb das erste Mal wieder geschminkt!

Die vier Tage mit deinen Eltern waren zauberhaft. Als sie sich gestern nach dem gemeinsamen Abendessen mit deinen 2 Schwestern, der Nichte von deiner besten Freundin Lucia und uns Vi(e)ren verabschiedeten, haben wir auch Mama und Papa gesagt...
Daß du dich so berappelt hast und wie gut dir der Besuch getan hat, hat mir auch die Kraft gegeben heute wieder zu kommen.
Auch wenn klar ist, daß ich mich ganz in sterile Kleidung und mit Haarnetz und Mundschutz anziehen muss. Nehm es in diesen Karnevalstagen mal als Verkleidung – haben uns zu Bühnenzeiten ja oft als Krankenschwestern gekleidet! Die Pfleger sind alle sehr nett zu uns und du magst diese „Privat-Suite mit Zimmerservice“ ja auch. Meine Deko mit den lila und orangen Perlen klimpert an der Tür
– und du freust dich.

Auch wenn die Schmerzen dich heute mehr plagen als vorher – heute soll denn doch Morphium helfen. Die häufigen Chemos haben deinen armen kleinen Körper gebeutelt, bist ja kaum noch vorhanden.
„Seh ich meine Mama nicht mehr? Dann ist gut...“
Gestern warst du noch so fit, dass ich dich auf einen Stuhl setzen konnte und du dir die Zähne geputzt hast. Wir scherzten noch, Tuntenhumor ist denn doch dankbar!

Vor einer Woche habe ich deinen Entwurf für den „Gedenkort für die vom Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen“ abgesendet, auf den du so stolz warst. Es war mir eine innere Freude, dich noch so inspirieren zu können!
Dann sind wir die Telefonlisten durchgegangen, wen ich anrufe um die Freunde auf deine „Heimkunft“ vorzubereiten. Daß ich am nächsten Tag diese handgeschriebenen Listen nutzen muss um deinen Tod zu verkünden hätte ich nicht gedacht! (Melde ich mich auch am Telefon wieder mit „BeV“, da die meisten mich nur so kennen.)
Deine Schwester Josi war hier geblieben und löste mich um 15.30 Uhr ab. Sie ist ein Schatz und sieht ja so aus wie du mit grauem Haar. Draußen treffe ich noch Rudi, der dich die 11 Wochen aufopfernd gepflegt hat, so wie Ichgola auch. Umarmungen sind so schön.

Ich war gerade mal eine Stunde zuhause und wieder im Telefonstress mit dem Teddy Award, als Ichgola mich anrief und meinte, ich könnte gleich wieder ins AVK kommen um Abschied zu nehmen. Whow!
Sicherheitshalber noch schnell was essen, da die letzten Tage kaum Appetit vorhanden war... Mama anrufen? Als ich die Stimme hörte weinte und schluchzte ich bitterlich!
- Hatte ich gar nicht mit gerechnet.

Der Abschied im Krankenhaus war nett.
Du schläfst wie immer mit halb offenen Augen in seitlicher Buddha-Lage, die Kerze flackert und dein geliebtes Klassikradio spielt leise im Hintergrund. Die engsten Freunde kommen vorbei, vom Balkon aus werden Weitere angerufen, Rosa legt dir eine Rose und ein Gedicht aufs Bett.
Deine große Liebe von früher, der dich die letzten Wochen fast täglich besuchte, ist dabei! Tima hat nasse Augen, ist nicht leicht für sie. Vorgestern hast du dich noch beschwert, dabei hattest du in deinem Fieber ihren Besuch am Donnerstag nur vergessen.
Ich spüre noch den nassen Lappen in meiner Hand, mit dem ich dir eigentlich gerade noch die heisse Stirn abwischte. Als ich dir den Rücken zart massierte sagtest du noch: „Zärtlichkeit, wie schön!“ Ich mag gar nicht gehen und dich allein lassen.

Die Arbeit an dieser Webseite macht sehr viel Freude – schließlich waren wir an all den Aktionen beteiligt -und beim aussuchen der Fotos müssen wir oft lachen! Wir hatten zusammen schon ein erfülltes, aufregendes und auch lustiges Leben.
Für die Beisetzung fallen uns täglich neue schöne Sachen ein – alles passt zusammen. Rituale haben dir ja eh gefallen. Nur die Idee einer grossen „Tuntenbeerdigung“ wird dies nicht! Dies sei hier bemerkt.

Ich vermisse dich...

   
 
   

Das Bett aus dem Film "Der Zauberberg" soll auch
sein letztes Gefährt sein.
Auf diversen Demos was dies sein ultimatives
Utensil.
 

Die Hose von BeV-Design ist Ovos
"letztes Hemd"
   

Vor der Kapelle vom St.Matthäus Kirchhof.
In Trauerkleidung 1994 schon mal geprobt:
Napoleon Seyfarths Beerdigung für den NDR
inszeniert
 

Wie er früher "Sünden" verbrannte,
so geben wir gute Wünsche auf
kleinen Karten mit auf den Weg!
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